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Gedenkveranstaltung am Sonntag, 26.01.2024 in der Citykirche

 Gedenkfeier anlässlich der Befreiung des Vernichtunsgslagers Auschwitz-Birkenau vor 80 Jahren -  26.01.25 15:00 bis 16.30 

Im Rahmen der Gedenkfeier erinnern biografische Skizzen an ermordete Aachener Juden und Jüdinnen, . Musikalisch wird die Veranstaltung durch die Klezmer-Band „Dance of Joy“ begleitet.
10. Februar 2025
Trumps Plan für Gaza widerspricht dem Völkerrecht, da eine freiwillige Räumung des Gazastreifens mehr als unwahrscheinlich ist und eine Zwangsräumung einer ethnischen Säuberung gleichkäme. Der Gazastreifen gehört nicht zu den USA und auch nicht zu Israel Wir halten an der Vision einer Zweistaatenlösung fest, wobei der Gazastreifen und das Westjordanland Teile eines palästinensischen Staates sein werden. Daher lehnen wir die Pläne der rechten Regierung Netanjahus ab, das Westjordanland und den Gazastreifen zu besiedeln, ebenso wie die Aktivitäten rechter Siedler*innen im Westjordanland. Auf dem Weg zu einer Zweistaatenlösung gibt es aber viele Hindernisse, die zu beseitigen sind. Ein „weiter so“ kann es nicht geben Am wichtigsten ist die Bekämpfung der Hamas und ein Betätigungsverbot des UNRWA. Das UNRWA hat Hamas-Terroristen als Mitarbeiter, es hat Hamas-Mitglieder als Leistungsempfänger, das UNRWA stellte der Hamas seine Einrichtungen als militärische Infrastruktur zur Verfügung. Wer das UNRWA finanziert, investiert in die Wiederauferstehung der Hamas als die Ordnungsmacht im Gaza-Streifen. Ebenso wichtig ist eine „Enthamasierung“ der Bevölkerung, die unbedingte Voraussetzung ist für ein friedliches Nebeneinander eines jüdischen und eines palästinensischen demokratischen Staates. Eine Zerstörung der militärischen Infrastruktur der Hamas, die sich unter zivilen Einrichtungen befindet, ist Voraussetzung für den Aufbau des Gazastreifens. Daher ist die schlichte Rückkehr der Palästinenser in den Norden des Gazastreifens und der Wiederaufbau ihrer Häuser über den teilweise intakten unterirdischen Tunneln keine Option Für den Wiederaufbau des Gazastreifens ist die temporäre Umsiedlung, wie sie auch den Bewohner*innen der zerstörten Kibbuze zugemutet wurde, unerlässlich. Dies zu bewerkstelligen und die Bevölkerung von dieser Notwendigkeit zu überzeugen kann mit Sicherheit nicht die USA und einem Trump gelingen. Als Garantiemacht für einen friedlichen Aufbau des Gazastreifens könnten die USA eine konstruktive Rolle spielen, gemeinsam mit weiteren Akteuren, die von beiden Seiten respektiert werden. Dies könnte eine Chance für eine neue zivile Ordnung und den Wiederaufbau des Gazastreifens darstellen. Bei einem Wiederaufbau Gazas muss das Trauma der israelischen Bevölkerung zwingend mitgedacht werden, die der permanenten Drohung der Hamas, ein Massaker wie das des 7.10. zu wiederholen. Die Inszenierung der Freilassung der ersten Geiseln im Rahmen der aktuellen Vereinbarung zeigt den Anspruch der Hamas, den öffentlichen Raum und die Ordnung im Gaza-Streifen wieder zu beherrschen. Ohne eine zivile Ordnung im Gaza-Streifen und eine Entmachtung der Hamas gibt es keine Zweistaatenlösung. Wer richtigerweise fordert, „dass die Terroristen der Hamas in Gaza in Zukunft keine Rolle mehr spielen dürfen”, muss sagen, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Elisabeth Paul, Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Aachen e.V.
28. Januar 2025
Morgen vor 80 Jahren wurde das KZ Auschwitz von den Alliierten befreit. Auschwitz ist das Symbol für den Holocaust, für Menschenverachtung, für Entmenschlichung, für einen kaltblütigen, industriellen Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden, für einen einzigartigen Zivilisationsbruch in der Geschichte, der mit nichts vergleichbar ist. Und dieser Zivilisationsbruch hatte eine Vorgeschichte: sie begann mit Ausgrenzung, mit Markierung von Menschen, mit bösen Geschichten über diese Menschen, mit Entmenschlichung und Verfolgung, mit dem Boykott jüdischer Einrichtungen und endete schließlich in der massenhaften industriell organisierten Vernichtung von 6 Millionen Jüdinnen und Juden, mit der Vernichtung von 5 600 Sinti und Roma, mit der Vernichtung sogenannter Asozialer, Zeugen Jehovas, Homosexueller, Kommunist*innen, Behinderter, kurz, aller Andersdenkenden, und derer, die nicht in das perverse, menschenverachtende völkische Konzept passten. Und diese Ideologie war festgeschrieben in Hitlers „Mein Kampf“, in dem er seine völkischen und menschenverachtenden Hasstiraden auf die Juden ausführte. Und die Geschichte zeigt, dass aus dieser Ideologie konkrete Politik wurde, grausame Realität, wie wir alle wissen. Und es brauchte ganze 52 Tage, um aus einer Republik eine Diktatur zu machen So etwas darf NIE WIEDER geschehen, und deshalb sind wir alle heute hier! „Nie wieder ist jetzt“ „Wehret den Anfängen“ Das sind Slogans, die nicht sinnentleert werden dürfen Von Primo Levi, einem jüdischen Schriftsteller und Holocaustüberlebenden, stammt der Satz: “Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.“ Und wir müssen uns fragen: kann so etwas wirklich nie wieder geschehen? wird so etwas nie wieder geschehen, Haben wir der Anfänge gewährt oder sind wir schon wieder mittendrin Haben wir zu sehr geschwiegen? Haben wir zu viel zu- oder weggeschaut? Haben wir zu wenig entgegengesetzt? Wenn Jüdinnen und Juden sich nicht mehr trauen, eine Kippa oder einen Davidstern zu tragen Wenn es gefährlich ist, in der Öffentlichkeit Hebräisch zu sprechen Wenn Jüdinnen und Juden für die Politik Israels verantwortlich gemacht werden Wenn jüdische Einrichtungen angegriffen werden oder als jüdisch markiert werden Wenn jüdische Einrichtungen, SchriftstellerInnen oder Künstler*innen boykottiert werden Wenn Unis zu Angsträumen für jüdische Studierende werden Kurz: wenn Jüdinnen und Juden zu Parias erklärt werden und ihnen jegliche Empathie verweigert wird Der Holocaust, die Shoah ist präzedenzlos und mit nichts vergleichbar! Und dennoch stellt sich die Frage nach Kontinuitätssträngen, die der Shoah zu Grunde lagen und die auch heute noch virulent sind. So schreibt Esther Schapira, eine jüdische Journalistin und Filmemacherin in der jüngsten Ausgabe der Jüdischen Allgemeinen: „Bislang war die Schoa die biografische und historische Wegmarkierung aller Nachgeborenen. Sie teilte unser Leben in ein „Davor“ und „Danach“. Nun kommt eine weitere hinzu. „Das schlimmste Massaker seit der Schoa“ ………… Bei aller Singularität der Schoa gibt es Assoziationen, die nicht mehr verschwinden werden: Der Blick in den Abgrund der Grausamkeit. Der Stolz der Mörder auf ihre Tat. Der Hass, der alle Juden trifft. Der Kampf ums Weiterleben und die Rückkehr ins Weiterleben nach dem Überleben.“ Seit dem 7. Oktober, dem bestialischen Massaker der Hamas, gibt es weltweit einen nie da gewesenen, offenen Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen. Teile der Linken verbünden sich mit islamistischen Kräften Rechtsradikale generieren sich vordergründig als Schützer*innen jüdischen Lebens, was nur als Spaltungsversuch verstanden werden kann und in klarem Widerspruch steht zu Der Forderung nach einer erinnerungspolitischen 180-Grad-Wende oder der Bezeichnung der Shoah als Fliegenschiss und das Holocaustmahnmahl als Denkmal der Schande. Der Bezeichnung der NS-Zeit als einen Vogelschiss in der Geschichte Die Verwendung antisemitischer Chiffren, wie den Globalisten hat Hochkonjunktur in unterschiedlichsten Milieus. Und die Wahlerfolge rechtsextremer Parteien zeigen, dass diese Ideologie in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist Als DIG sehen wir es als unsere historische Verantwortung, uns solidarisch an die Seite Israels, den einzigen jüdischen Staat weltweit zu stellen, den Staat der Holocaustüberlebenden und deren Nachkommen und zwar unabhängig von der jeweiligen Regierung. Die zionistische Idee eines jüdischen Staates als Heimstätte aller Jüdinnen und Juden, sozusagen als Lebensversicherung, ist Folge jahrtausendalter Verfolgung weltweit und wurde durch den Holocaust beschleunigt. Heute erscheint die Idee eines solchen Staates notwendiger denn je und dennoch ist seine Existenz so gefährdet, wie noch nie seit seinem Bestehen. Heute begehen wir das Gedenken an den Holocaust und sind bereit, unsere Lehren und unsere Verantwortung daraus zu ziehen. Wir treten gegen Rassismus und jede Form des Antisemitismus auf, gleich ob sie von rechts, von links, aus religiösen Kontexten oder aus der Mitte der Gesellschaft kommt. DAFÜR STEHEN WIR HEUTE HIER, GEMEINSAM MIT VIELEN MENSCHEN IN GANZ DEUTSCHLAND! NIE WIEDER IST JETZT!
22. Januar 2025
23.1 19.00 Uhr 20.2 19.00 Uhr 20.3 19.00 Uhr 10.4 19.00 Uhr
22. Januar 2025
Am Donnerstag, den 16.1. wurde im Apollo-Kino der Film „September 5“ in Kooperation mit der DIG Aachen e.V. im Rahmen des Formats „Kino im Dialog“ gezeigt. 50 bis 60 Anwesende folgten der anschließenden einstündigen Diskussion, die von Richard Gebhardt, politischer Bildner und Publizist und Jonas Paul, Politologe und Mitglied unseres Vorstands moderiert wurde. Bei dem einleitenden kurzen Dialog zwischen den Moderatoren wurden Aspekte der ethischen Verantwortung von Medien, der Wirkmacht von Bildern und deren Entwicklung seit den 1970er Jahren bis heute vertieft. Außerdem wurden die Bezüge der Terroristen des „schwarzen Septembers“ zu RAF-Terroristen und zu Rechtsradikalen, wie der Wehrsportgruppe Hoffmann thematisiert, die zeigen, wie damals wie heute Antisemitismus als Klammer zwischen allen Milieus von rechts über die Mitte bis links virulent sind. Bei der anschließenden sehr konstruktiven Diskussion kamen vor allem persönliche Bezüge und Erinnerungen zur Sprache, die teilweise sehr emotional waren und Betroffenheiten zum Ausdruck brachten.
9. Januar 2025
Zu Gast: Richard Gebhardt, Politischer Bildner und Journalist Jonas Paul, Politologe und Mitglied im Vorstand der DIG Aachen München, 5. September 1972, zehnter Wettkampftag der Olympischen Sommerspiele. Erstmals seit 1936 wieder in Deutschland, sollten es die „heiteren Spiele“ werden und der Welt das Bild eines neuen, liberalen Deutschlands vermitteln. Doch um 4.40 Uhr hört die Frühschicht des amerikanischen Senders ABC Schüsse aus dem nahe gelegenen Olympischen Dorf. Eine Gruppe palästinensischer Terroristen hat elf Mitglieder der israelischen Mannschaft als Geiseln genommen. Gegen den Widerstand der eigenen Nachrichtenabteilung berichtet das ABC-Sports-Team Live über die 21-stündige Geiselnahme. Erzählt wird die Geschichte von Geoff (John Magaro), einem jungen, ehrgeizigen Producer, der sich bei seinem Chef, dem legendären Roone Arledge (Peter Sarsgaard), beweisen will. Mit Hilfe der deutschen Dolmetscherin Marianne (Leonie Benesch) übernimmt Geoff unerwartet die Leitung der Live-Sendung. Während die Zeit drängt, widersprüchliche Gerüchte die Runde machen und das Leben der Geiseln auf dem Spiel steht, muss Geoff schwierige Entscheidungen treffen und sich mit seinem eigenen moralischen Kompass auseinandersetzen. Wie soll man über eine solche Situation berichten, wenn die Täter die mediale Aufmerksamkeit für ihre Zwecke nutzen? Link zur Veranstaltung und Ticketkauf: https://apollo-aachen.de/september-5/
14. Dezember 2024
Am Montag, den 4. November wurde die Ausstellung: „GESICHTER UND SCHICKSALE. JÜDISCHE AACHENERINNEN UND AACHENER – VERFOLGT UND ERMORDET“ in der Citykirche mit einer Vernissage eröffnet. Die Ausstellung war bis zum 18.11.2024 zu sehen.
5. November 2024
Dieser Essay basiert auf der Rede, die Christoph David Piorkowski auf der Gedenkveranstaltung der DIG Aachen anlässlich des ersten Jahrestages des 7. Oktober gehalten hat. Die Antisemiten werden den Juden den 7. Oktober nicht verzeihen Mit dem 7. Oktober 2023 ist für Juden und antisemitismuskritische Menschen ein neues Zeitalter angebrochen. Das geistige Virus des Judenhasses hat eine neue Mutationsstufe erreicht. Ein Essay. Von Christoph David Piorkowski Mit dem genozidalen Massaker der Hamas – einem Ereignis, das bis heute keinen Begriff gefunden hat, der die Spezifik dieses grausamen Verbrechens adäquat zu bezeichnen vermöchte – mit dem 7. Oktober 2023 also sind Jüdinnen und Juden überall auf dem Globus in einer veränderten Welt aufgewacht. Natürlich hat sich das Ressentiment auch vor diesem Tag allenthalten geäußert – insofern ist 10/7 keine bloße Zäsur. Und doch, so scheint es vielen Betroffenen, ist in der Folge etwas anders geworden, Antisemitismus als Virus des Geistes hat eine neue Mutationsstufe erreicht; für den Großteil der Menschheit war der 7. Oktober spätestens am 8. Oktober vorüber, für Juden und mit Juden solidarische Personen hat der 7. Oktober an jenem Tag begonnen – seither ist jeden Tag 7. Oktober. Die Selbst-Gerechten unter den Völkern blieben keine 24 Stunden lang stumm. Die Leichen des antisemitischen Massakers, das die Hamas in Israel verübt hat, waren noch nicht einmal sämtlich geborgen, da startete in zahllosen Ländern der Welt schon die schuldprojektive Empörungsmaschine. Angesichts der antizipierten Vergeltung, die Israel in Gaza wohl ausüben würde, fantasierten die notorischen Israelhasser schon von einem Genozid an Palästinensern, noch bevor die IDF ihren Marschbefehl erhielt. Selbst durch Massenvergewaltigung und Folterung von Frauen oder das Töten von Kindern im Beisein ihrer Eltern wurde das binäre Wahrnehmungsmuster, in dem die Israelis als bösartige Täter und die Palästinenser bloß als Opfer erscheinen, vielen Menschen nicht als das offenbar, was es ist: Das Produkt eines antisemitischen Wahns, einer Ideologie, in welcher „die Juden“ auf alle Zeit die Rolle des Bösen bekleiden. Das antijüdische Ressentiment folgt keiner einfachen Abwertungsformel, ist anders gelagert als klassischer Rassismus. Antisemitismus definiert seine Objekte als schwach und übermächtig zugleich. Die Juden werden zwar als Schädlinge gedeutet, doch auch als heimliche Herrscher der Welt. So ist Antisemitismus kein bloßes Vorurteil, sondern eine Ideologie mit Allerklärungsanspruch, die ein gesundes und grundgutes Volk mit einer krankhaften und bösen Elite kontrastiert – oder auch die reinen Indigenen Palästinas mit den angeblich „raumfremden“ Kolonisatoren. Wo rassistische Projektionen ihre Objekte vornehmlich abwerten, gilt „der Jude“ als nachgerade teuflischer Frevler, als Urgrund und Prinzip alles Bösen auf der Welt, als ein Zerstörer der natürlichen Ordnung, und nicht zu akzeptierende Form der Existenz. Seit dem Holocaust zeigt sich Antisemitismus indes häufig in einer sich selbst verleugnenden und mithin oberflächlich camouflierten Form. Seine aktuell häufigste Artikulation findet er in sogenannter „Israelkritik“, in der klassisch antisemitische Motive wie Kindermord, Rachsucht, Medienkontrolle, Zersetzung, Täuschung und heimliche Machenschaften häufig eins zu eins aufzufinden sind – wie etwa die umfangreichen empirischen Studien der Kognitionswissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel illustrieren. So lässt sich das Ressentiment artikulieren, ohne „die Juden“ beim Namen zu nennen. Im „Palli-Washing“ des Antisemitismus zeigt sich die Umweg-Kommunikation des postnazistischen Antisemitismus, der sich als moralische Haltung verkauft. Léon Poliakov erklärte zu Recht, Israel sei heute der „kollektive Jude“, ja gleichsam der „Jude unter den Staaten.“ Dabei wird Judenhass immer zu Notwehr erklärt, ist geprägt durch die Umkehr von Täter und Opfer – wie einst Adorno und Horkheimer schrieben, werden die Juden vom absolut Bösen als das absolut Böse gebrandmarkt. Dieses Muster des völkischen Antisemitismus lässt sich auch auf den von Islamisten übertragen, welche sich als Schüler der Nazis offenbaren, die sich anschickten, Teile der arabischen Welt in den 1930er und 40er Jahren verschwörungsantisemitisch zu verhetzen – wodurch der Antisemitismus auch zur maßgeblichen Ursache (und nicht bloß zur Wirkung) des Nahostkonflikts wurde. Der Wille zur Vernichtung des „Zersetzers der Ordnung“ und personifizierten Prinzips der Moderne, des Sündenbocks für alle Verwerfungen der Welt wird den Objekten dieses uralten Hasses in pathisch-projektiver Weise unterstellt. So scheint es legitim eben diese zu vernichten. Wenn sie sich dann wehren, und sei es mit Krieg, fühlt sich der antisemitische Geist in seiner krankhaften Wahrnehmung bestätigt, dass die Juden die eigentlichen Völkermörder seien. Dabei steht dieser hyperbolisierende Vorwurf bereits seit etlichen Jahren im Raum, dafür braucht es den aktuellen Gaza-Krieg nicht, der zwar auf rücksichtslose Weise geführt wird, doch sicher keine Absicht zur Vernichtung impliziert. Das Narrativ ist gefeit gegen jede Empirie. Der Hasser schnappt nach jedem empirischen Krümel, der ihn in seiner wahnhaften Weltsicht bestätigt, doch käme er auch ohne Erfahrungssplitter aus. Im Maschinenraum des Geistes werden im Akkord die gleichen projektiven Bilder produziert, die fremde Erfahrung mit Bekanntem ummantelt, bis sie sich in letzterem aufgelöst hat. Statt einer mimetischen Annäherung der Wahrnehmung an die Wirklichkeit, wird eine Identifikation des Wirklichen mit der – ob der Macht des antisemitischen Ressentiments – vor jeder Erfahrung installierten Wahrnehmungsapparatur vollzogen. Oder wie Jean-Paul Sartre formulierte: Nicht die Erfahrung schafft das Bild vom Juden, sondern das Vorurteil fälscht die Erfahrung. Dabei können es Antisemiten nicht ertragen, Jüdinnen und Juden als Opfer zu erleben. So erklärt sich der gleichsam pathologische Reflex, die Shoah und nun auch den 7. Oktober zu verleugnen oder zu bagatellisieren – das Pogrom gar als Akt der Befreiung zu feiern. Man muss sich das klarmachen: Die Hamas hat ihre Grausamkeit dokumentiert, sie hat die Bilder ihres Menschheitsverbrechens als Fortsetzung dieses Verbrechens benutzt, die Videos der Gräuel als Waffen verwendet, um das jüdische Trauma-Gedächtnis zu treffen. Die Botschaft des Terrors war unmissverständlich: „Ihr seid auf alle Zeit von Vernichtung bedroht. In eurer vermeintlichen Schutzstätte genauso, wie an jedem anderen Ort auf der Welt“. Nicht von ungefähr haben die Hamas-Terroristen eine Woche nach dem 7. Oktober den sogenannten „Tag des Zorns“ ausgerufen und Jüdinnen und Juden zu Freiwild erklärt. Dann aber passierte folgendes: Trotz oder vielmehr wegen der öffentlichen Verlautbarung ihrer genozidalen Absichten, hat die islamistische Mörderbande ihre Bildpolitik bald radikal geändert. Nun postete man nicht mehr die Fotos von gefolterten Frauen, denen man eine Kugel in den Intimbereich geschossen hatte, sondern jene von totgebombten Kindern in Gaza. Die Hamas und ihre antisemitische Schutzmacht, das klerikal-faschistische Mullah-Regime, scheinen sich mit Blick auf die jüdischem Leben gegenüber völlig empathielose Reaktionsweise weitester Teile der Weltöffentlichkeit – die sich höchstens kurz an den Hamas-Gräuel störte und anschließend den Judenstaat dämonisierte – von Anfang an sicher gewesen zu sein. Man konnte sich das öffentliche Massaker leisten, und wusste, dass man schließlich doch als Opfer gelten würde. Bald wurde von den großen Medienhäusern der Welt, von New York Times, CNN, BBC und vielen anderen fast ausschließlich über das Leiden der palästinensischen Bevölkerung berichtet, während der 7. Oktober und die israelischen Geiseln allerhöchstens noch als Fußnote vorkamen. Die für den Antisemitismus maßgebliche Umkehr von Täter und Opfer, von Ursache und Wirkung findet sich nicht zuletzt in den Nahost-Diskursen der seriösen bürgerlichen Mitte der Gesellschaft – auch dieser Tage wird das allenthalben offenbar. Das Gros der Rezeption auch westlicher Medien des Krieges zwischen Israel und Hisbollah, stempelt den jüdischen Staat zum Aggressor, der den Konflikt nun grausam eskaliere. Dass die vernichtungsantisemitische Hisbollah – ein Export der islamischen Revolution – vor allem deshalb ins Leben gerufen wurde, um als Proxy der Mullahs gegen Israel zu kämpfen, und die radikal-islamistische Miliz aus dem Libanon fast jeden Tag Raketen abfeuert, scheint für viele Menschen dabei kaum von Belang. So wie im Nahost-Diskurs selten erwähnt wird, dass die Nakba – die Flucht und Vertreibung von etwa 700.000 Palästinensern – sich in Reaktion auf den Angriffskrieg vollzog, den ein breites Bündnis aus arabischen Staaten gleich nach der Staatsgründung Israels vom Zaun brach. Als wäre es die jüdische Seite gewesen, die den Teilungsplan der Vereinten Nationen von 1947 abgelehnt hätte – der Jischuv war es, der die Zwei-Staaten-Lösung wollte, die arabische Seite aber lehnte sie ab, man wollte keine jüdische Präsenz in Palästina. Und viele wollen diese bis heute nicht dulden: So stimmen nach neueren Umfragen zum Beispiel 77,7 Prozent der Menschen im Westjordanland und 70,4 Prozent der Menschen in Gaza einer rein palästinensischen Einstaatenlösung zu, also einer, die auch einen solchen Staat ablehnt, in dem beide Völker zusammenleben würden. „From the river to the sea“ meint Vertreibung und Vernichtung. Die jüdisch-israelische Sicht auf die Dinge, die Notwendigkeit, das Überleben zu sichern, der Umstand, dass der einzige jüdische Staat mit der Größe des deutschen Bundeslands Hessen seit seiner Gründung von Vernichtung bedroht ist und es sich nicht leisten kann, Kriege zu verlieren – all das spielt in vielen Berichten keine Rolle. Um hier nicht missverstanden zu werden: Das Leiden der Menschen in Gaza ist furchtbar, jedes tote Kind ist eines zu viel, und auf jeden Fall muss man vieles an der israelischen Kriegsführung, an der Regierung Netanjahu und auch an der Gewalt rechtsreligiöser Siedler im Westjordanland kritisieren. Doch die Antisemiten von rechts und links, aus der Mitte und aus dem islamistischen Lager interessieren sich nicht für die Kinder in Gaza, die die Hamas als Schutzschild missbraucht. Sie sind bloß ein nützliches Mittel zum Zweck, um Hass mit Humanität zu ummanteln und den Antisemitismus als ehrbar auszugeben. Beinahe obsessiv haben Organe der UN, weite Teile der weltweiten Presse, Kunstszenen sowie akademische Milieus auf Israels Einmarsch in Gaza gestarrt. Keine andere Gewalt auf der Welt produziert eine so intensive Empörung. „No Jews, no News“ ist der implizite Leitfaden antisemitischer Affektökonomie. Israelbezogener Antisemitismus grassiert auch ohne das Leiden in Gaza. Er stellt sich an diesem lediglich scharf, um sich dann hemmungslos auszuagieren. So waren die Bomben ein beruhigender Balsam für irritierte antisemitische Seelen. Die kognitiven Dissonanzen, die die Nachricht von enthaupteten Babys womöglich bei manchen notorischen Israelhassern bewirkt hatte, waren augenblicklich aufgelöst. Endlich schien die empirische Welt wieder komplett mit der ideologischen Betrachtung versöhnt. Gut war wieder gut, und Böse wieder böse. Welche Wirkungen haben die Attacke der Hamas, und die israelische Antwort darauf, in Gesellschaften rund um den Globus entfaltet? 10/7 hat die traurige Erkenntnis bestätigt, dass selbst ein eliminatorischer Antisemitismus, vor dessen Grausamkeit die menschliche Sprache versagt, weiteren Antisemitismus erzeugt, anstatt dessen Kritik durch die Mehrheitsgesellschaft. Der antisemitische Vernichtungsexzess, den die Hamas in aller Offenheit vollführt hat, und der ihre bereits in der Gründungscharta freimütig publizierte Absicht widerspiegelt, hat bei den allermeisten Menschen auf dem Globus gerade nicht dazu geführt, sich gegen Judenhass zu stellen. Stattdessen verzeichnen etwa jüdische Museen seit dem 7. Oktober einen Rückgang der Besucher. Stattdessen vernimmt man ein dröhnendes Schweigen, auch von Menschen, die man eigentlich als Freunde vermeinte. Stattdessen bricht das schwelende Ressentiment in den verschiedensten Segmenten der Gesellschaft nun immer aggressiver und unverhohlener auf. Der Judenhass des Einen führt zum Judenhass des Nächsten, die Mauern der postnazionalsozialistischen Tabuzone offener Feindschaft gegen Juden waren immer schon wacklig und stürzen jetzt ein. Das Klima ist schon vor 10/7 rauer geworden: Laut einer Studie der EU-Agentur für Grundrechte (FRA) haben 80 Prozent der europäischen Juden in den letzten Jahren einen deutlichen Anstieg antijüdischen Hasses erlebt. Alle diesbezüglichen Erhebungen zeigen, dass sich die Lage nun noch einmal verschärft. Wir erleben in Europa und den USA eine Flutwelle antisemitischer Gewalt, wie seit 1945 nicht mehr. Von Judenhass getragene Großdemonstrationen in Städten wie London, Paris oder Berlin, wo „antiimperialistische“ Linke mit Islamisten im Gleichschritt marschieren, während die postkolonial geprägte Academia der selbstgerechten Rage der Straße sekundiert. Gewalt gegen jüdische Einrichtungen, Schändungen von Orten des Holocaustgedenkens. Bedrohungen von und Angriffe auf jüdische Studenten und jüdische Schüler, sowie Journalisten und Politikerinnen, die sich gegen Judenhass positionieren. Markierungen von Häusern, die von Juden bewohnt werden, Brandanschläge auf Synagogen und antisemitismuskritische Einrichtungen, Mobbing und entgrenzte Hasspropaganda auf Tik Tok, Instagram, Youtube und X. Aktuell wird eine ganze Generation auf Tik Tok und Co. in den Kaninchenbau antisemitischer Verschwörungsmythen hineingetrieben. Insbesondere jüngere Menschen, so zeigen es Umfragen aus den USA, neigen dazu, Israel zu dämonisieren. Was wir leider wenig bis gar nicht erleben, sind große Solidaritätsdemonstrationen, auf denen nichtjüdische Menschen den Terror der Hamas und den Terror von Antisemiten in Europa als solchen benennen und dagegen aufbegehren. Stattdessen zieht überall der Mob durch die Straßen, judenfeindliche Symbole und Parolen sind im öffentlichen Raum oft normalisiert, nicht zuletzt an zahlreichen Universitäten, die die Elite von morgen hervorbringen. Juden, die in der Diaspora leben, müssen tagtäglich mit Gewalt kalkulieren, wenn sie es wagen, sich als Juden zu zeigen. In der U-Bahn in Berlin eine Kippa zu tragen, in Wien auf der Straße Hebräisch zu sprechen – eigentlich selbstverständliche Handlungen werden sich wohl manche lieber zweimal überlegen. Öffentliches jüdisches Leben in Europa muss sich notgedrungen hinter Panzerglas ereignen. Wie unfassbar traurig und beschämend das ist. Doch bei sehr vielen Menschen in der Gesellschaft ruft der Antisemitismus nicht mal ein Achselzucken hervor. Und während Juden in Europa auf gepackten Koffern sitzen, weil sie nicht wissen, wie lange sie den Hass noch ertragen können, sind manche „Experten“ primär darum bemüht, das Phänomen Antisemitismus zu verrätseln und definitorisch in der Schwebe zu halten. So scheinen viele Akademiker, nicht zuletzt in Deutschland, mehr um die Freiheit zur Hassrede besorgt, als um die Freiheit von jüdischen Studierenden, die aus Furcht vor dem selbstgerechten Mob, der die Campus von Universitäten bevölkert, die Uni meiden, sich exmatrikulieren, einfach nur noch wegwollen, aber wohin? Als skandalös wird oft weniger der Antisemitismus als vielmehr dessen Skandalisierung empfunden. Wie oft in der Geschichte wird Gewalt gegen Juden in den Vorwurf des Antisemitismus projiziert, als „Angriff auf die Kunst- oder Wissenschaftsfreiheit“. Als wäre nicht der dämonisierende Boycott israelischer Künstlerinnen und Forscher das Problem, sondern der in Unis und Kulturinstitutionen nach wie vor seltene Boycott der Boykotteure. Viele scheinen den Antisemitismusvorwurf jedenfalls schlimmer zu finden als den Antisemitismus selbst. Was das Entsetzen vieler Juden über die Gewalt des 7. Oktober und die antisemitischen Ausschreitungen auf dem Planteten verstärkt, sind der Umstand mangelnder Solidarität, das laute Schweigen und die Gleichgültigkeit weitester Teile der Mehrheitsgesellschaft. Für Jüdinnen und Juden bedeutet 10/7 eine langfristig doppelte Verunsicherung: Sowohl das Leben in sämtlichen Ländern der Diaspora, als auch jenes im vermeintlichen Nothafen Israel ist seit dem 7. 10. gefährlicher geworden. Wo soll man noch hin, lautet die drängende Frage, wenn das Ressentiment in Gewalt umschlägt, in jedem Weltwinkel Ungemach droht, genauso wie aus jeder politischen Richtung? Denn auch das ist eine der verstörenden Erkenntnisse, die 10/7 nochmals aktualisiert: Weite Teile der heutigen Linken, die von postkolonialen Diskursen geprägt sind, sind dermaßen ideologisch verbohrt, das nicht einmal die Abschlachtung jüdischer Kinder ihr radikal zweigeteiltes Weltbild erschüttert, in dem es keinen Platz für Graustufen gibt. Denn postkoloniale Theoretiker:innen predigen in der Regel eine „manichäische Teilung“ zwischen dem oppressiven Okzident hier und dem unterdrückten globalen Süden dort. Die Verfolgungsgeschichte der Juden und ihre nach wie vor leidvolle Gegenwart haben in dieser an der „Colourline“ vollzogenen Grenzziehung keinen Platz. Antisemitismus wird, wenn überhaupt, nur als eine Subform von Rassismus begriffen. Oder als eine Diskriminierung, die bloß während der Zeit des NS-Regimes bestand, und deren Opfer heute eben nicht mehr die „weißgewordenen“ Juden, sondern die „orientalisierten“ Araber seien. So sieht es etwa der Altvater des Postkolonialismus, der US-Amerikaner Edward Said. Israel gilt gegen die historischen Fakten als siedlerkolonialer und künstlicher Staat – als wäre nicht jeder Staat ein künstliches Gebilde. Auch das unzweideutig antisemitische Motiv vom „wurzellosen Bösen“, das die Volkskultur zersetzt, prägt viele postkoloniale Debatten, die wiederum sehr viele Hochschulen prägen. Die von überall her geflüchteten Juden– ob äthiopisch, aschkenasisch oder misrachisch – werden hier als „weiße“ Kolonialherren verteufelt. Dass in Folge des panarabischen Angriffskrieges auf das frisch gegründete Israel 1948 nicht nur 700.000 Palästinser:innen von Flucht und Vertreibung betroffen waren, sondern auch 900.000 Jüdinnen und Juden ihre arabischen Heimatländer verlassen mussten, wird im antizionistischen Diskurs nicht erwähnt. Auch dass Israel in erster Linie ein antikolonialer Flüchtlingsstaat ist, und mit kolonialer Ausbeutung wenig zu tun hat, wird in diesem ambiguitätsfeindlichen Denken unterschlagen. Dabei ist der Übergang von einer Lesart, die Israel als kapitalistisch-imperialistisches Kolonialprojekt verfemt hin zu einem Verschwörungsglauben, der hinter Imperialismus und Kapitalismus grundsätzlich „den Juden“ vermutet, in Theorie und Praxis durchaus fließend. In der Agitation sogenannter propalästinensischer Protescamps, die an zahlreichen Unis ins Kraut geschossen sind, gerinnt der Kampf gegen den bösen Zionismus oft zum Kampf für die Befreiung der Menschheit. Die zum Fetisch avancierten Palästinenser gelten hier als Avantgarde im Kampf für das Gute. Ein regionaler Konflikt zwischen Bevölkerungsgruppen bekommt eine heilsgeschichtliche Bedeutung. Auf den erhofften Sieg der Palästinenser gegen die israelische Besatzungsmacht wird der Wahnglaube einer Befreiung der Menschheit von einem vermeintlich global agierenden Zionismus projiziert. Der Weltverschwörungsmythos klingt hier unverhohlen an, erlösungsantisemitischer Wahn wird für jede und jeden offenbar. Zwar gibt es nicht zuletzt im deutschsprachigen Raum auch eine laute antisemitismuskritische Linke, die Judenhass in Theorie und Praxis bekämpft. Diese ist seit dem 7. Oktober nach jetzigem Stand nicht kleiner geworden. Doch leider auch nicht größer, wie es aktuell scheint. Analyse und Kritik des Antisemitismus sind nach wie vor kein wesentlicher Teil der dominierenden linken Theorieproduktion. Anstatt, dass 10/7 ein Fanal gewesen wäre, um das Weltbild der wirklichen Welt anzupassen, scheinen viele sogenannte progressive Geister sich noch tiefer in ihrem theoretischen Weltimitationsgewölbe zu verbunkern als bislang. Die kurze Offenbarung der moralischen Schwächen ihrer unterkomplexen Betrachtung der Welt hat eine narzisstische Kränkung befördert, die die Abwehr der Wirklichkeit noch intensiviert und den Wunsch erzeugt, sie wieder in die Theorie einzusperren, aus der sie am 7. 10. zu entkommen drohte. Paradoxerweise muss man dieser Tage konstatieren: Viele postkoloniale „Linke“ werden den Juden den 7. Oktober nicht vergeben können, so wie Deutsche oft den Juden die Shoah übelnehmen, die sie zu Nachfahren des Tätervolkes macht. Mithin gilt heute insgesamt abermals das, was der Schriftsteller und Holocaustüberlebende Jean Améry schon nach dem Sechs-Tage-Krieg feststellen musste: Das weite Teile der weltweiten Linken nicht bereit sind, mit Juden Empathie aufzubringen. So fühlen sich nicht zuletzt linksstehende Juden, wie die Soziologin Eva Illouz, seit dem 7. Oktober oft schmerzlich allein. Vielen von ihnen beginnt nun zu dämmern, dass die Revolution ihrer vermeintlichen Genossinnen nicht ihre ist, ja nicht sein kann, weil die Welt, die die heutige Linke sich wünscht, für Jüdinnen und Juden keine bessere ist, im Gegenteil, sie wäre noch schlimmer als diese. Man sollte indes niemals den Fehler begehen, auf der rechten Seite nach Hilfe zu suchen. Zwar gerieren sich rechtspopulistische Akteure aus taktischen Gründen manchmal israelfreundlich – vor allem, um ihrer hassgetränkten Agitation gegen Migranten mehr Nachdruck zu verleihen, ihren dumpfen Rassismus zu nobilitieren und Juden und Muslime gegeneinander auszuspielen. Gleichzeitig aber rezitieren sie konstant antisemitische Verschwörungsnarrative, etwa mit dem Mythos vom „großen Austausch“, der die Migranten aus muslimischen Ländern zu stumpfen Objekten eines heimlichen Plans von als jüdisch gelesenen Eliten erklärt. Antisemitismus ist das Tiefenfundament im ideologischen Gebäude (neu)rechter Akteure. Man darf sich keine Illusionen machen: Das Erstarken rechtspopulistischer Akteure, von der AfD und ihren Schwesterparteien, ist für Jüdinnen und Juden eine riesige Gefahr, genau wie für Muslime und andere Minderheiten. Judenhass ist letztlich ein Querfrontphänomen, er formt eine illustre Empörungsgemeinschaft. Scheinbar widersprüchliche Akteure finden sich im Hass auf „den Juden“ zusammen. So befürwortet die Nazi-Partei NPD, die sich inzwischen in „Die Heimat“ umbenannt hat, die sich progressiv wähnende Bewegung BDS, die zum Boycott gegen Israel aufruft. Postkolonial inspirierte Studierende, etwa an der Columbia University, verehren die Quassam-Brigaden der Hamas und preisen die Märtyrer der Mordbataillone. Radikale Islamisten und völkische Faschisten sind ohnehin vereint in ihrem Hass auf Frauen, Demokratie und „die Juden“ als „dunklem Prinzip der Moderne“. Antisemitismus kommt überall vor, rechts und links und in der Mitte der Gesellschaft, in der Schule, der Uni, im Verein, und im Büro, in der Kirche, der Moschee und im bourgeoisen Feuilleton. Die Ereignisse in Israel und in Palästina haben unserer vielfach zerklüfteten Gesellschaft eine weitere sichtbare Trennlinie beschert, die quer zu ihren übrigen Frakturen verläuft. Zwischen den Hardcore-Judenhassern und Tendenz-Antisemiten auf der einen, formt sich ein Lager auf der anderen Seite, das Antisemitismus als solchen benennt. Auch wenn die Kritik oft vergeblich zu sein scheint, kennt die Aufklärungsarbeit keine Alternative. Man muss sich also weiter um jene bemühen, die keine geschlossenen Weltbilder haben, auch wenn man hier Sisyphos-Arbeiten verrichtet. Auch sollte man sich trotz und wegen allem, was geschieht, trotz der furchtbaren Folgen des 7. Oktober für jüdische Menschen überall auf der Welt, und natürlich auch für zahlreiche Menschen in Gaza, für einen langfristigen Frieden engagieren, das heißt jene moderaten israelischen und palästinischen Kräfte, die noch immer an die Möglichkeit einer Koexistenz glauben, zum Dialog motivieren. Man darf sich vor dem Leid der Palästinenser nicht verschließen, muss aber auch verdeutlichen, dass dieses Leid nicht bloß Israel anzulasten ist, sondern vielfach auf die Kappe von Akteuren wie Hamas geht, die sich bei nicht wenigen Menschen der Region nach wie vor großer Beliebtheit erfreut – und das obwohl sie einen maßgeblichen Beitrag dazu leistet, dass ein Staat Palästina bislang nicht existiert. „Propalästinensisch“ müsste mithin bedeuten, zwar gegen die fundamentalistischen Teile der jüdischen Siedlerbewegung und die Regierung Netanjahu zu protestieren, doch auch gegen die Gräuel des politischen Islam. Wer „für Palästina“ und nicht bloß „gegen Israel“ ist, müsste der Hamas eine Kriegserklärung machen. Proisraelisch und propalästinensisch sind keineswegs antagonistisch zu verstehen, auch wenn das in der aktuellen Lage so erscheint. Ein Frieden ist möglich, wenn auch kompliziert. Eine ambiguitätstolerante Betrachtung ist die mentale Voraussetzung dafür. Einer redlichen Kritik an Politikformen Israels, die nicht von Antisemitismus geprägt ist, von Dämonisierung, Delegitimierung, Derealisierung und doppelten Standards, können auch Antisemitismuskritiker stets mit offenen Ohren begegnen. Dem tendenziell antisemitischen Geraune, das weite Teile des Diskurses zum Nahostkonflikt grundiert, manchmal ohne, dass die Leute verstehen, was sie sagen, gilt es indes lautstark entgegenzutreten.
31. Oktober 2024
"Ich werde fortgehen, um zu sehen, wo es in der Welt ein Stückchen Erde gibt, auf dem wir leben können"
31. Oktober 2024
https://www.citykirche.de/veranstaltungen/termin/2024/07/judenhass-michel-friedman-im-gespraech/
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